Die Wahl in Thüringen

1929 – Am 8. Dezember 1929 wählten die Thüringerinnen und Thüringer ihren fünften demokratischen Landtag der Weimarer Republik. Von 53 Mandaten holten gemäßigte Parteien insgesamt 41. Die restlichen zwölf Mandate verteilten sich auf extremistische Parteien. Jeweils sechs davon erhielten die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei (NSDAP).

Die NSDAP erreichte mit 11,29 Prozent in #Thüringen erstmalig ein Ergebnis im zweistelligen Bereich. Ihre sechs Mandate spielten eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen um die Macht. Obwohl Leitfiguren der NSDAP, wie beispielsweise Adolf Hitler, der #WeimarerDemokratie jegliche Gestaltungskompetenz absprachen und auf Reichsebene eine Regierungsbeteiligung rigoros ausschlossen, nutzten sie auf Landesebene mit dem Einverständnis liberal-bürgerlicher und konservativer Kräfte das Votum der Thüringerinnen und Thüringer zur Profilierung. Nach der Wahl bewegten sich die Mitglieder der Thüringer NSDAP auch zum ersten Mal von der Oppositionsbank in die Reihen einer Regierung.

Ab dem 23. Januar 1930 amtierte die erste demokratisch gewählte Landesregierung mit nationalsozialistischer Minister-Beteiligung. In der sogenannten Baum-Frick-Regierung bekleidete mit Wilhelm Frick ein höherer Staatsbeamter und überzeugter Nationalsozialist die Posten als thüringischer Innen- und Volksbildungsminister in Personalunion. Als bayrischer Beamter beteiligte sich Frick bereits 1923 am gescheiterten Umsturzversuch durch Hitler und Erich Ludendorff. Seitens der NSDAP war 1930 die Einsetzung Fricks als thüringischer Minister offenbar eine „ultimative“ Bedingung für das Bündnis mit bürgerlich-liberalen und konservativen Parteien. Gewählt hatte ihn in Thüringen allerdings niemand. Ein Misstrauensvotum gegen Frick und Willy Marschler, einen der gewählten NSDAP-Mandatsträger, beendete im Dezember 1931 die Baum-Frick Regierung.[1]Zu Thüringen vgl. Heiden, Detlev; Mai Gunther (Hg.): Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar 1995. Vgl. auch Neliba, Günter: Wilhelm Frick und Thüringen als Experimentierfeld für die nationalsozialistische Machtergreifung, in: Heiden, Detlev; Mai, Gunther (Hg.): Thüringen auf dem Weg ins Dritte Reich, S. 95-118, hier S. 96. Zu Wilhelm Frick als Innen- und Volksbildungsminister vgl. auch Neliba, Günter: Wilhelm Frick, Legalist des Unrechtsstaates, Paderborn 1992, S. 57-64. (Im Folgenden als Neliba: Legalist zitiert.

Bundesarchiv Bild 102-10541, Weimar, Aufmarsch der Nationalsozialisten.jpg
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Der Brief

Wenige Tage nach Einsetzung der Baum-Frick-Regierung wurden die Umstände jener Regierungsbildung in einem Brief festgehalten. Adolf Hitler beschrieb darin am 2. Februar 1930 die Vorgänge in Thüringen als „größten Erfolg“ der nationalsozialistischen „Bewegung“ und zeigte sich von Wilhelm Frick extrem begeistert. Dieses Dokument soll hier thematisiert werden. Zu unterschiedlichen Zeiten nahm es in verschiedenen Gestalten erstaunliche Wege. Nach seiner Entstehung 1930 wurde der Brief nicht nur verschickt, sondern tauchte im Laufe der Geschichte an ganz unterschiedlichen Stellen als fotografierte Kopie des Originals wieder auf.

Anhand überlieferter Akten aus dem Bundesarchiv Berlin wird hier ein Vorgang sichtbar gemacht, der sich während des Zweiten Weltkrieges ereignete. Im August 1943 war der Brief Anlass zur Korrespondenz zwischen verschiedenen Dienststellen der Schutzstaffel (SS). Dabei wurde eine Abschrift des Dokuments angefertigt, die den Namen des Empfängers enthält. In der Forschung blieb diese mehr oder wenig zufällig entdeckte Quelle bisher unberücksichtigt. Sie wird hier als #OpenHistory Edition veröffentlicht.

Zu der großen Unbekannten seit 1966 gesellen sich im Jahr 2019 viele weitere Fragen: Wer sind die beteiligten Personen? Warum wurde das Dokument 1943 wieder interessant? Wie erklärt sich das Verschwinden des Empfänger-Namens seit 1966? Für einige der Fragen sollen Ansätze geliefert werden, die zur Lösung der rätselhaften Materie beitragen können. Möglicherweise liefert der Beitrag einen Impuls, der Quellenkritik im Bereich #Zeitgeschichte mehr Aufmerksamkeit zu schenken als es bisher geschehen ist. Vielleicht ergeben sich durch Kommentare, Kritiken und Anregungen, die jederzeit willkommen sind, noch weitere Informationen zur Geschichte des Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930.

Eine unbekannte Fotokopie

1943 – Die #WeimarerRepublik existierte seit zehn Jahren nicht mehr, Europa stand in Flammen. Täglich wurden in Krieg und Holocaust tausende Menschen ermordet, zur Zwangsarbeit verschleppt oder zur Umsiedlung gezwungen, als im August 1943 ein Machtwechsel an der sogenannten Heimatfront erfolgte. Von Hitlers anfangs erwähnter Begeisterung für den altgedienten Frick schien zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel übrig geblieben. Der bereits 1933/34 zum Reichsinnenminister aufgestiegene Frick wurde durch den Multifunktionär Heinrich Himmler abgelöst und erhielt repräsentative Aufgaben im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, was de facto einer Entmachtung gleich kam. Am 20. August unterzeichnete Hitler die Ernennungsurkunde des neuen Ministers, der seit Januar 1929 die Schutzstaffeln (SS) der NSDAP führte, im Juni 1936 die Deutschen Polizei übernahm und seit Oktober 1939 als Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums verantwortlich zeichnete. Krieg, Holocaust, Zwangsarbeit und Umsiedlung gehörten zu seinem täglichen Geschäft. Himmlers offizieller Dienstbeginn war der 26. August 1943.[2]Zu Frick vgl. Neliba: Legalist; Zu Himmler vgl. Lehnstaedt, Stephan: Das Reichsinnenministerium des Innern unter Heinrich Himmler 1943-1945, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, (4) 2006, S. 639-672, hier S. 639. (PDF online)

Bereits am 16. August wusste Himmler von seiner Ernennung. Mittags, gegen 12:15 Uhr, telefonierte er mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner. Himmlers handschriftliche Aufzeichnungen verdeutlichen, dass die beiden über den Punkt „Neuorganisation M[inisterium] d[es] I[nnern]“ sprachen. Am Nachmittag telefonierte Himmler außerdem noch mit dem Chef des SS-Hauptamtes, SS-Obergruppenführer Gottlob Berger. Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, dass Himmler auch mit Gottlob Berger über den Machtwechsel im Reichsministerium des Innern sprach.[3]Handschriftliche Telefonnotizen Himmlers vom 16.08.1943, BArch, NS 19/1440, Bl. 131. Es ist jedoch wahrscheinlich, denn Berger zauberte am nächsten Tag plötzlich ein Dokument aus dem Hut: die „Fotokopie“ des Briefes vom 2. Februar 1930, in dem Hitler seine Begeisterung über Wilhelm Frick zum Ausdruck gebracht hatte. Er sendete jene angeblich „noch einzig vorhandene Fotokopie“ am 17. August 1943 an den Persönlichen Stab Reichsführer-SS. Dabei behauptete der SS-Obergruppenführer in seinem Anschreiben, Himmler hätte Hitlers Brief in die Wewelsburg bei Paderborn bringen lassen. Er schlug nun vor, auch die Fotokopie in das Archiv der sogenannten SS-Ordensburg zu geben.[4]Berger an Brandt, 16.08.1943, BArch, NS 19/233, Bl. 1. So geschah es nach bisherigen Erkenntnissen auch. Eine Woche später, am 24. August 1943, wies der Persönliche Referent Himmlers, Rudolf Brandt, den Burghauptmann der Wewelsburg, SS-Obergruppenführer Siegfried Taubert, schriftlich an, die mitgeschickte Fotokopie in das Archiv zu übernehmen. Am gleichen Tag informierte Brandt auch Berger über den Verbleib der Kopie.[5]Brandt an Taubert und Berger, 24.08.1943, BArch, NS 19/233, Bl. 8 f.

Unbekannt bleibt die Herkunft der Fotokopie. Wer war Bergers Quelle? Und was meinte der Chef des SS-Hauptamtes mit der Formulierung, Himmler hätte den Brief in die Wewelsburg bringen lassen? Ging es hierbei um das Original, einen Abdruck, eine weitere Kopie oder einen Entwurf?

Eine unbekannte Fotokopie

1966 – Der Hitler-Brief vom 2. Februar 1930 tauchte im Jahr 1966 in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erneut auf. Die Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ) veröffentlichten eine Dokumentation mit dem Titel: Die Regierungsbildung in Thüringen als Modell der Machtergreifung, Ein Brief Hitlers aus dem Jahre 1930.[6]Die Regierungsbildung in Thüringen als Modell der Machtergreifung, Ein Brief Hitlers aus dem Jahre 1930, bearb. von Fritz Dickmann, in: VfZ, 1966 (4), S. 454-464.(PDF online) Für die Dokumentation war Fritz Dickmann verantwortlich, der zu jener Zeit an der Freien Universität Berlin Neue Geschichte lehrte. Die Quelle, eine „Photokopie“, lag dem Historiker exklusiv vor. Zweifel an der Echtheit des abgebildeten Originals räumte er aus.

„An der Echtheit des Schreibens ist nicht zu zweifeln. Die Photokopie, die mir vorgelegen hat, läßt vermuten, daß kein Entwurf angefertigt wurde, sondern daß Hitler den Text entweder unmittelbar in die Maschine oder ins Stenogramm diktiert hat, denn die Reinschrift ist an einigen Stellen handschriftlich korrigiert und dann von Hitler unterzeichnet worden. Soweit man erkennen kann, scheinen die wenigen Korrekturen von Hitler selbst herzurühren. Auch Inhalt und Diktion tragen alle Kennzeichen der Echtheit.“ (Dickmann: Regierungsbildung, S. 455.)

Fritz Dickmann stellte die Quelle als einzigartig heraus, dokumentierte für die nachfolgenden Generationen ein wichtiges Detail jedoch nicht. Er ließ weg, an wen Hitler den Brief schrieb. Gleichzeitig lieferte er in seiner Begründung wichtige Hinweise zur dieser Person.

„Ein persönliches Schreiben Hitlers darf also Seltenheitswert beanspruchen. Warum das hier abgedruckte in dieser Form abgefaßt und in einem bei Hitler höchst seltenen Ton persönlicher Herzlichkeit gehalten wurde, ist schnell erklärt: Der Empfänger war ein in Übersee lebender Deutscher, der zu Anfang der zwanziger Jahre bei einem Besuch in München mit Hitler und der NSDAP in Berührung kam und von da an ein begeisterter Anhänger und Bewunderer des „Führers“ blieb. Gerade bei Auslanddeutschen war das ja kein seltener Fall. Hitler erschien, vom Ausland her gesehen, als der Erneuerer deutscher Größe und deutschen Ansehens in der Welt, unter dessen Niedergang in der Zeit nach dem Versailler Frieden die Auslanddeutschen besonders gelitten hatten. Die dunklen Seiten, die Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus blieben für diese Betrachter aus der Ferne gewissermaßen unter dem Horizont, wurden nicht geglaubt oder übersehen. Nicht selten verlor allerdings die magische Fernwirkung Hitlers ihren Zauber, wenn ein solcher Auslanddeutscher durch einen längeren Besuch in der Heimat den Dingen näher trat. Bei dem Empfänger des hier publizierten Briefes scheint das nicht der Fall gewesen zu sein. Er hat in den zwanziger und dreißiger Jahren Deutschland mehrfach besucht, an Parteitagen der NSDAP teilgenommen und ist, soweit man seinen Weg weiter verfolgen kann, ein unbeirrbarer Bewunderer Hitlers geblieben; ein Photo aus dem Jahre 1935 zeigt ihn und seine Frau in der Reichskanzlei als Gäste Hitlers mit ihm allein an der Kaffeetafel. Aus Hitlers Brief kann man schließen, daß der Empfänger wohl schon frühzeitig bedeutende finanzielle Opfer für die Partei gebracht hat. Es gab also Gründe für eine so außergewöhnliche Ehrung, wie sie Hitler mit diesem langen, fast schmeichlerisch gehaltenen persönlichen Dankschreiben dem Empfänger erwies und für die Vertraulichkeit, mit der er ihn seine Beurteilung der politischen Lage wissen, seine Erwartungen und Hoffnungen teilen ließ. Daß diese Ehre auch als solche gewürdigt wurde, ergibt sich daraus, daß der Empfänger den Brief sorgfältig aufbewahrte und ihn Jahre später, als Hitler Reichskanzler geworden war, photokopieren ließ, um einigen Freunden einen Abzug zum Geschenk zu machen. Der Freundlichkeit eines der Beschenkten verdanke ich die Kenntnis des Briefes und die Erlaubnis zur Veröffentlichung, doch ohne Nennung des inzwischen verstorbenen Empfängers, dessen Name ohnehin, da es sich um keine irgendwie bekannte Persönlichkeit handelt, nichts zur Sache tun würde.“ (Dickmann: Regierungsbildung, S. 455 f.)

Bemerkenswert ist, dass Dickmann selbst die besten Gründe dafür lieferte, warum der Empfänger nicht hätte verschwinden dürfen. Aus dem Hitler-Brief von 1930 schließt er, der Empfänger könnte „schon frühzeitig bedeutende finanzielle Opfer für die Partei gebracht“ haben. Genau deshalb wäre der Name interessant gewesen. Auch in der Nachvollziehbarkeit des Quellenmaterials hakte es, denn aus der Dokumentation von 1966 geht an keiner Stelle hervor, ob die Fotokopie – vielleicht in einer weiteren Kopie – archiviert wurde. Dass Dickmanns Quellengeber mit dem Empfänger befreundet gewesen ist, dürfte hier eine wesentliche Rolle für das Verschwinden des Namens gespielt haben.

ⓘ Fritz Dickmann (1906-1969)

Fritz Dickmann studierte Geschichte, evangelische Theologie und Germanistik überwiegend in Berlin, promovierte mit 22 Jahren bei Friedrich Meinecke und verfasste eine Dissertation mit dem Titel Militärpolitische Beziehungen zwischen Preußen und Sachsen 1866–1870, Ein Beitrag zur Entstehung des Norddeutschen Bundes. Laut Stephan Skalweit entdeckte der junge Historiker die Quellenforschung für sich. Eine bereits angetretene Assistenten-Stelle im Reichsarchiv wurde allerdings aus wirtschaftlichen Gründen 1931 gestrichen. Daraufhin qualifizierte sich Dickmann für den höheren Schuldienst, den er 1935 an der Martin-Luther-Schule in Marburg antrat. Mitglied der NSDAP war er nicht. 1937 musste er seinen Posten in Marburg kurzzeitig verlassen und mit der Tätigkeit an einer Luftwaffenschule in Münster auskommen, wobei er nach Intervention des Rektors der Marburger Schule wieder als Lehrer arbeiten konnte. Im Jahr 1939 erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht. Während eines Studienurlaubs habilitierte sich Dickmann 1941 zum Thema des Westfälischen Friedens. 1944 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg leitete Dickmann als Oberstudiendirektor die Martin-Luther-Schule in Marburg. Sein Hauptwerk über den Westfälischen Frieden erschien 1959, seit 1961 arbeitete Dickmann auch als Privatdozent, bis er 1965 den Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Berlin erhielt. Vgl. Skalweit, Stephan: Nekrolog, Fritz Dickmann, in: Historische Zeitschrift, Bd. 211, München 1970, S. 257-259; Wikipedia, Version v. 23.05.2017, 22:49 Uhr.

Eine bekannte Edition

1995 – Mitte der 1990er wurde der Brief von 1930 erneut veröffentlicht. Im dritten Band zu Hitlers „Reden, Schriften, Anordnungen“ druckte das Institut für Zeitgeschichte die Korrespondenz auf Grundlage der Dokumentation von 1966 ab. Wesentlich umfangreicher mit Fußnoten bestückt, bietet die Edition der Dokumentation einen informatorischen Mehrwert gegenüber der Veröffentlichung von 1966. Dabei wurde auch die Einordnung des verschwundenen Namens übernommen. Ein Hinweis auf die kaum nachvollziehbare Quelle fehlt leider.[7]Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen, Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. III, Zwischen den Reichstagswahlen, Juli 1928-September 1930, Teil 3, Januar 1930-September 1930, (Hrsg.) Institut für Zeitgeschichte, hrsg. u. komm. von Christian Hartmann, München 1995, S. 59-64, hier S. 59. Im Folgenden zitiert als RSA, Bd. III, Teil 3.

OpenHistory

Der Brief in der deutschsprachigen Literatur zu Hitler

Eine ganze Reihe deutschsprachiger Literatur zur Person Adolf Hitlers schenkte dem Brief vom 2. Februar 1930 keine Aufmerksamkeit.[8]Vgl. Maser, Werner: Hitlers Briefe und Notizen, Sein Weltbild in handschriftichen Dokumenten, Düsseldorf 1973; Ders.: Adolf Hitler, Legende, Mythos, Wirklichkeit, 12. Aufl., München 1989 (1. Aufl. 1971); Fest, Joachim C.: Hitler, Eine Biographie, Frankfurt a.M. 1973; Weissbecker, Manfred/ Pätzold, Kurt: Adolf Hitler, Eine politische Biographie, Leipzig 1995; Reuth, Ralf Georg: Hitler, Eine politische Biographie, München 2003; Pyta, Wolfram: Hitler, Der Künstler als Politiker und Feldherr, München 2015; Longerich, Peter: Hitler, Biographie, München 2015; Pölking, Hermann: Wer war Hitler, Ansichten und Berichte von Zeitgenossen, Berlin 2017, Thamer, Hans-Ulrich: Adolf Hitler, Biographie eines Diktators, München 2018. Ausnahmen auf der wissenschaftlich biografischen Ebene sind Ian Kershaw und Volker Ullrich. Mit Blick auf Hitlers Rolle während der Landtagswahl in Thüringen und die Dokumentation Fritz Dickmanns als Quelle nutzend, kommt Kershaw zu der Interpretation, dass Hitler in dem Brief einen Weg beschrieb, wie er sich zu diesem Zeitpunkt das Ende der #WeimarerRepublik vorstellte.

„Sollte die NS-Partei die Situation ausnutzen, erstmals in eine Regierung eintreten und zugleich riskieren, durch die Mitwirkung an einem diskreditierten System Popularität einzubüßen? Hitler entschied, die NSDAP müsse Regierungsverantwortung übernehmen. Hätte er das Angebot abgelehnt, wären Neuwahlen fällig gewesen, und die Wähler hätten sich möglicherweise von der NSDAP abgewandt. Was dann geschah, deutet darauf hin, wie man sich zu diesem Zeitpunkt die ‚Machtergreifung‘ im Reich vorstellte.“ (Kershaw, Ian: Hitler, 1889-1936, Stuttgart 1998, S. 406.)

Volker Ullrich verweist in seinem 2013 erschienen Werk über Hitlers Aufstieg ebenfalls auf den Brief vom 2. Februar 1930. Im Gegensatz zu Kershaw greift Ullrich den prophetischen Charakter heraus. Schließlich orakelte Hitler in dem Brief über den Aufstieg der NSDAP, der in der Reichstagswahl vom September 1930 auch seinen Anfang nahm.[9]Ullrich, Volker: Adolf Hitler, Jahre des Aufstiegs, Frankfurt a. M. 2013, S. 250. Beide Interpretationen gehen nicht auf die nahleigende Frage ein, wer der des Briefes war. Während Volker Ullrich nach Dickmann zumindest auf einen Auslandsdeutschen in Übersee hinweist, setzt sich Kershaw damit gar nicht auseinander. Darüber hinaus ist bei aller Beschäftigung mit dem Inhalt des Hitler-Briefes die Frage nach dessen Original und der Provenienz des überlieferten Quellenmaterials zu kurz gekommen.

Die erneute Veröffentlichung des Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930 als frei zugängliche online-Edition ist ein Beitrag zur Aktenkunde im 21. Jahrhundert. Aufgrund der bisher unveröffentlichten Quelle bildet die Edition im Kern eine eigenständige zeitgemäße Erweiterung der bislang publizierten Versionen. Sie fügt der vorhandenen historisch-biografischen Forschungsliteratur zu Hitler das Detail des Namens hinzu.

Editorische Notiz

Aus der Akte NS 19/233 im Bundesarchiv geht nicht eindeutig hervor, wer die Abschrift der Fotokopie wann und wo erstellte. Vermutlich ist sie zwischen dem 16. und 24. August 1943 entstanden, dem Korrespondenz-Zeitraum zwischen SS-Obergruppenführer Berger und Himmlers Persönlichen Referenten, SS-Sturmbannführer Brandt.

Für den Entstehungsort kommen zwei mögliche Optionen in Betracht. Entweder wurde die Abschrift in Bergers SS-Hauptamt in Berlin oder in der von Brandt geleiteten Hauptabteilung Persönliches Referat im Persönlichen Stab Reichsführer-SS erstellt. Zwischen dem 16. und dem 24. August befand sich Brandt zusammen mit Heinrich Himmler auf dem Obersalzberg bei Adolf Hitler. Wenn Berger auch der Auslöser gewesen ist, spricht eine Tatsache gegen den Entstehungsort Berlin. Berger gab im Anschreiben nur eine einzige Anlage an, wobei es sich um die Fotokopie gehandelt haben dürfte. Von einer Abschrift ist keine Rede, auch ein Vermerk dazu existiert nicht. Dass die Abschrift in den Akten des Persönlichen Stabes überliefert ist, spricht wesentlich für die zweite Option.

Offenbar wurde die Korrespondenz samt Abschrift, sieben DIN A4 und zwei DIN A5 Blätter, später in der Schriftgutverwaltung des Persönlichen Stabes Reichsführer-SS gestempelt und als geheimer Akt mit der blauen Nummer 181/14 archiviert. Ein Teil der Akten ist heute im Bundesarchiv überliefert, wo der Vorgang 181/14 unter der Signatur NS 19/233 abgelegt ist.

Von den neun Blättern der Akte NS 19/233 wurden Digitalisate zunächst als JPG, dann in Form von PDF angefertigt. Damit konnten die Blätter anhand des Texterkennungs-Verfahrens der Open-Source von Transkribus in eine maschinell lesbare Form gebracht werden. Das entsprechende Textdokument wurde von Fehlern wie falschen Buchstaben bereinigt und bildete so eine Art Basis-Text. Hier gebloggt sind die Blätter zwei bis sieben, d.h., die 1943 erstellte Abschrift des Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930.

In Büchern war es bei Editionen üblich, zur Auflösung von Abkürzungen vor allem eckige Klammern zu verwenden. Dieses Prinzip wurde ersetzt. Eckige Klammern wurden durch senkrechte Striche und Pluszeichen ersetzt |+…+|, in denen die ergänzten Buchstaben zur Verdeutlichung kursiv geschrieben sind. In diesem Zusammenhang wurde auch der editorische Hinweis [sic!], mit dem auf bestimmte Eigenheiten der Quelle hingewiesen wird, durch ein |sic!| angepasst.

Editorische Anmerkungen aus den bereits publizierten Versionen von 1966/1995 sind in Fußnoten festgehalten, genau wie weitere Informationen zu Personen und Sachverhalten. Überall, wo es aus editorischer Sicht sinnvoll erschien, wurden Links zur Kontextualisierung der Information gesetzt. Am Ende jedes edierten Blattes befindet sich die Option, das Original der überlieferten Abschrift als Foto einzusehen. Die Bearbeitung stellt ein experimentelles Verfahren zur #Digitalisierung von Akten aus dem 20. Jahrhundert dar.

Edition

1

Persönlicher Stab Reichsführer-SS
Schriftgutverwaltung.
|+Akten+||+Nummer+||+Geheim+| 181/14
|+Wiedervorlage+| 16.9.

Fotokopie eines Briefes des Führers an einen Großindustriellen in Südamerika.

München, den 2. Februar 1930

Lieber Herr Eichhorn!

Durch eine Reihe widriger Umstände wurde das Weihnachtsgeschenk für Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin, das ich zur Erinnerung an die Nürnberger Tage[10]Hinweis bei Dickmann auf den Parteitag der NSDAPim August 1929, bei dem das Ehepaar Eichhorn vermutlich anwesend war. Dickmann: Regierungsbildung, S. 460. nach meinem Entwurfe anfertigen ließ, statt Dezember erst Januar fertig. Sie werden mir aber wohl nicht böse sein, wenn ich damit so verspätet all die Glückwünsche verbinde, die ich sonst zum neuen Jahr übermittelt hätte. Ich benütze diese Gelegenheit aber auch, um Ihnen einiges über die Bewegung zu schreiben, die Ihnen und Ihrer lieben hochverehrten Frau Gemahlin so sehr am Herzen liegt.

Seit Sie uns im August verlassen haben, konnte die Bewegung einen Aufschwung nehmen, der alles, was wir in dieser Richtung zu hoffen wagten, weit zurückließ. Die Landtagswahlen und Kommunalwahlen verdoppelten bis verzehnfachten an manchen Orten unsere Stimmen.[11]Nach Darstellung der 1995 edierten Dokumentation spielte Hitler damit auf 'vergleichsweise günstige Wahlergebnisse der NSDAP auf Länder- und Kommunalebene im Oktober und November 1929' an. RSA, Bd. III, S. 59. Bei der Landtagswahl in Baden am 27. Oktober 1929 verbesserte die NSDAP ihr Ergebnis gegenüber der Wahl vom 25. Oktober 1925 von 1,16 auf 6,98 Prozent. Auf kommunaler Ebene konnte die NSDAP zum Beispiel bei der Wahl zur Berliner Stadtverordnetenversammlung Zuwächse verbuchen. Hier zog die NSDAP mit 5,8 Prozent erstmals ins Parlament ein. Vgl. Baasen, Geert: Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung und zum Abgeordnetenhaus von Berlin zwischen 1862 und 2011, in: Zeitschrift für amtliche Statistik Berlin Brandenburg, 1+2 (2012), S. 58-65, hier. S. 61.(PDF online) Wir waren überhaupt die einzige Partei, die wirklich und zwar rapid gewachsen ist. Den größten Erfolg erzielten wir in #Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. Es trat damit eine Frage von großer grundsätzlicher Bedeutung an die Bewegung heran. Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen. Wir haben ja auch schon vor dem eine Zeit lang – vor Dinters Ausscheiden[12]Artur Dinter (27.06.1876, Mühlhausen/Elsass - 21.05.1948, Offenburg), studierte Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität Strassburg. Nach seinem aktiven Kriegsdienst von 1914 bis 1916 wurde Dinter vom Heer entlassen. Im Jahr 1917 veröffentlichte er das Buch 'Die Sünde wider das Blut' und siedelte nach Thüringen über. Er engagierte sich als Wahlkampfredner für die Deutschnationale Volkspartei und war Vorstandsmitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes. Nachdem die NSDAP aufgrund des gescheiterten Hitler-Aufstandes vom 9. November 1923 in München verboten wurde, zog Dinter, der in Gräfenroda wohnte, im Februar 1924 als Fraktionsführer des Wahlbündnisses 'Völkisch-Sozialer-Block' in den Thüringer Landtag ein. Als die NSDAP 1925 wieder zugelassen wurde, gründete er, NSDAP-Mitglied Nr. 5, den Gau Thüringen. Bei der Landtagswahl vom Januar 1927 wurde er wiederum als Spitzenkandidat der NSDAP in das Parlament gewählt. Bereits Ende September 1927 wurde er abgesetzt, im Oktober 1928 aus der NSDAP ausgeschlossen. Unmittelbar nach der Amtsenthebung gründete Dinter einen Verein mit dem Namen 'Geistchristliche Religionsgemeinschaft', in dem sich Dinter der Befreiung des Christentums vom Judentum verschrieb. Mit der Wahl vom 8. Dezember 1929 verlor Dinter sein Landtagsmandat. Vgl. Beyer, Hubert: Dr. Phil. Nat. Artur Dinter auch ein Teil von von Gräfenroda, in: Gräfenroda, Beiträge zur Heimatgeschichte, Heft 3 (2013), Walterhausen u.a. – einen ausschlaggebenden Einfluß ausüben können. Allein erst die Neuwahl brachte uns die ziffernmäßige Stärke, die jede Regierungsbildung ohne unser Mittun kurzerhand verbietet. Außerdem hat sich seitdem in der öffentlichen Meinung ein sehr großer Umschwung vollzogen. Es ist staunenswert, wie sich hier die vor wenigen Jahren noch selbstverständliche arrogante, hochnäsige oder dumme Ablehnung der Partei in eine erwartungsvolle Hoffnung verwandelt hat. Es lag im Wesen dieser Umwälzung, wenn daher die früheren Koalitionsparteien in Thüringen an uns zum ersten Male die Forderung nach aktiver Beteiligung an der Regierung richteten. Ich glaube, man erwartete (besonders auf der Seite der deutschen Volks-

ⓘ Walter & Ida Eichhorn
NSDAP-Mitgliedskartei Walter Eichhorn

Walter Eichhorn wurde am 03.01.1877 in Leipzig geboren. Laut NSDAP-Mitgliedskartei war E. von Beruf Kaufmann, lebte in der argentinischen Stadt La Falda und trat am 1. Februar 1929 unter der Mitgliedsnummer 112.823 in die NSDAP ein. Am 11. Mai 1935 verlieh Hitler Walter E. das Ehrenzeichen der NSDAP. (Quelle: BArch-R-9361-VIII-KARTEI-7791157.)

NSDAP-Mitgliedskartei Ida Eichhorn

Ida Eichhorn wurde am 11. Dezember 1881 im siebenbürgischen Heltau (rumän. Cisnădie; ungar. Nagydisznód) geboren. Mit ihrem späteren Ehemann Walter lebte sie in La Falda, Argentinien, und trat drei Monate vor ihm, am 01.12.1928, unter der Mitgliedsnummer 105.408 ein. Wie Walter wurde auch Ida am 11. Mai 1935 das Ehrenzeichen der NSDAP von Hitler verliehen. (Quelle: BArch-R-9361-VIII-KARTEI-7790177.)

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partei!), daß ich irgendeinen national schimmernden Regierungsbeamten zur Verfügung stellen würde, mit dem man dann schnell fertig geworden wäre. Man mußte deshalb dieses Mal gleich von Anfang an den Herrn Parteipolitikern zeigen, daß jeder Versuch einer Übertölpelung der nationalsozialistischen Bewegung lächerlich ist. So erklärte ich zunächst prinzipiell mein Einverständnis, uns an der Regierungsbildung in Thüringen aktiv zu beteiligen. Hätte ich „Nein“ gesagt und wäre es darüber zu einer Neuauflösung des Landtags gekommen, würden manche Wähler vielleicht den Entschluß, uns das Vertrauen zu schenken, wieder bedauert haben. Von dem Moment an, an dem unser prinzipielles Einverständnis vorlag, wäre jede Neuwahl zu Ungunsten der anderen Parteien ausgegangen. Nachdem auf solche Art unsere prinzipielle Bereitschaft zur Beteiligung an der Regierungsbildung abgegeben und angenommen worden war, stellte ich zwei Forderungen: Innenministerium und Volksbildungsministerium. Es sind dies in meinen Augen die beiden in den Ländern für uns wichtigsten Ämter. Dem Innenministerium untersteht die gesamte Verwaltung, das Personalreferat, also Ein- und Absetzung aller Beamten, sowie die Polizei. Dem Volksbildungsministerium untersteht das gesamte Schulwesen, angefangen von der Volksschule bis zur Universität in Jena sowie das gesamte Theaterwesen. Wer diese beiden Ministerien besitzt und rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann Außerordentliches wirken. Natürlich ist die Voraussetzung hiezu die geeignete Persönlichkeit. Ich war mir darüber klar, daß für diese Stelle nicht irgend ein kleiner Parlamentarier oder ein ergebener Regierungsbeamter in Frage kommen kann, sondern nur ein durchgekochter |sic!| Nationalsozialist von ebenso großer Fachkenntnis wie bedingungsloser nationalsozialistischer Gesinnung. Ich habe nun das Glück, in unserem Parteigenossen Dr. Frick einen Mann zu besitzen, der diesen Anforderungen in höchstem Ausmaß gerecht wird. Ein energischer, kühner und verantwortungsfreudiger Beamter von außerordentlich großem Können und fanatischer Nationalsozialist! Als ich den Unterhändlern der anderen Regierungsparteien diesen meinen Kandidaten mitteilen ließ, war man dort zunächst auf das unangenehmste berührt. Das entsprach nicht dem, was man sich zuerst vorstellte. Natürlich konnte man Dr. Frick nicht aus den

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wahren Gründen ablehnen. So griff man zu ebenso unwahren wie lächerlichen Vorwänden. Die deutsche Volkspartei, die im Reich in den Koalitionen |sic!| mit den Parteien der ehemaligen Landesverräter sitzt, empfand es auf einmal als „untragbar“, mit einem wegen „Hochverrat“ zu Festungshaft verurteilten Nationalisten zusammen zu arbeiten.[13]Die Anführungszeichen bei untragbar und Hochverräter wurden laut Dickmann auf dem Original handschriftlich nachgetragen. Dickmann: Regierungsbildung, S. 462. Mit den Landesverrätern waren sehr wahrscheinlich die Abgeordneten der SPD im Kabinett Müller II, der zweiten großen Koalition der Weimarer Demokratie, gemeint. Hitler spielte hier auf die sogenannte Dolchstoß-Legende an, nach der die deutsche Armee am Ende des Ersten Welt-Krieges von der Politik verraten worden und im Felde unbesiegt war. Sich selbst meinte Hitler mit der Bezeichnung Hochverräter, weil er nach seinem misslungenen Aufstand vom 9. November 1923 von April bis Dezember 1924 in Landsberg in Festungshaft saß. Man glaubte, daß wir vor der Drohung eines Mißlingens der Regierungsbildung doch klein beigeben würden. So fuhr ich dann selbst nach Weimar und habe den Herren[14]Im Original nach Dickmann aus Herrn korrigiert. Vgl Dickmann: Regierungsbildung, S. 462. ganz kurz in aller Bestimmtheit versichert, daß entweder Dr. Frick unser Minister wird, oder Neuwahlen kommen. Ich setzte von Freitag, den 10., bis Montag, den 13.|+Januar+|[15]Die Kommata fehlen in der edierten Version von 1966. Sie sind sehr wahrscheinlich von der Person eingefügt worden, die die Abschrift im August 1943 erstellte. eine kurze Frist der Überlegung und versicherte, daß anderenfalls am Dienstag unser Antrag auf Auflösung des Landtages eingebracht würde und am Mittwoch der Wahlkampf von unserer Seite wieder begänne. In einer Industriellenversammlung[16]Fritz Dickmann schrieb dazu: 'Über diesen Vortrag Hitlers am Sonnabend, den 11. Januar 1930 in Weimar, zu dem die nationalsozialistische Fraktion des Thüringer Landtages im Einvernehmen mit führenden Persönlichkeiten der thüringischen Wirtschafts- und Industrieverbände und auf deren Anregung eingeladen hatte, berichtete der Völkische Beobachter am 17. Januar 1930. Hitler sprach nach dieser Meldung vor mehr als 200 maßgeblichen Persönlichkeiten der Politik und Verwaltung, des Handels, der Wirtschaft und Industrie sowie der Kunst und Wissenschaft aus ganz Thüringen über das Thema Politik und Wirtschaft. Bemerkenswert sind die vom VB wörtlich wiedergegebenen Schlußsätze mit der massiven Drohung: 'Versöhnung gibt es für uns nicht! Es gibt nur eins: Rettung unseres Volkes, und wenn es sein muß, durch die Erledigung unserer Gegner!' — Es ist immerhin bemerkenswert, daß die bürgerlichen Parteien trotz dieser brutalen Äußerungen die Koalitionsverhandlungen mit Hitler fortsetzten und zu einem positiven Abschluß brachten.‘ Dickmann: Regierungsbildung, S. 462., die ich am selben Tag hielt und zu der alles, was in der mitteldeutschen Wirtschaft überhaupt eine Rolle spielt, nach Weimar gekommen war, vertrat ich unsere nationalsozialistischen Gedanken und Prinzipien mit dem Erfolge, daß auf einmal gerade von dieser Seite ein sehr scharfer Druck auf die deutsche Volkspartei ausgeübt wurde mit dem Gesamtergebnis, daß wir am Montag Abend die prompte[17]Im Original laut Dickmann 'promte'. Dickmann: Regierungsbildung, S. 462. Einwilligung zu unserem Kandidaten und zu den beiden Ministerien erhielten.[18]Die Behauptung, auf die DVP wäre Druck ausgeübt worden, sei eine 'nicht nachprüfbare, aber durchaus ernst zu nehmende', merkte Dickmann an. Anschließend verwies er auf die unterschiedlichen Interpretationen zur Zusammenarbeit der Industrie mit der NSDAP. Georg W.F. Hallgarten setze in Hitler, Reichswehr und Industrie, Frankfurt 1955, S. 96 den Beginn der finanziellen Unterstützung Hitlers durch die Industrie auf die Zeit Anfang 1930. Otto Dietrich, ehemaliger SS-Obergruppenführer und Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, meine hingegen in: Mit Hitler in die Macht, 21. Aufl., München 1935, S. 45, Hitler hätte sich erst im Sommer 1931 dazu entschieden, die Industrie systematisch einzubeziehen. Am 23. Januar 1930 wurde Wilhelm Frick jedenfalls mit 28 gegen 22 Stimmen zum Innen- und Volksbildungsminister gewählt. Vgl. Dickmann: Regierungsbildung, S. 462. Parteigenosse Frick hat in der Regierung noch einen zweiten Nationalsozialisten. Wir haben gefordert, daß unser Parteigenosse Marschler[19]Wilhelm Marschler, geb. am 12.08.1893 in Legnica (Liegnitz), besuchte von 1900 bis 1907 Volksschulen im schlesischen Liegnitz und im vogtländischen Plauen. Im Jahr 1907 ging Marschler an die kaufmännische Fortbildungsschule in Adorf, absolvierte danach eine Ausbildung zum Kaufmann und arbeitete bis 1914 als Angestellter. Von 1914 bis 1918 leistet er Kriegsdienst beim Infanterie-Regiment 94 und beim Reserve-Infanterie-Regiment 233. Nach dem Ersten WeltKrieg arbeitete M. bis 1923 wieder als Angestellter. Seit 1924 saß Wilhelm Marschler im Thüringer Landtag, ab 1933 war der Bürgermeister von Ohrdruf Ministerpräsident des Landes. Zu den Daten: Auszug aus dem Reichstagshandbuch, o.D. (vermutl. 1933), BArch, R 9361-II/688500. Staatsrat wird, und als solcher damit an den Abstimmungen der Regierung stimmberechtigt teilnimmt. Damit hat nun allerdings ein Kampf begonnen, der nicht leicht sein wird, von dem ich mir aber umso mehr Erfolg verspreche, als unser Staatsminister, Parteigenosse Dr. Frick, alle übrigen Herrn des Kabinetts[20]Im Kabinett waren 'Ministerpräsident und Finanzminister Erwin Baum (Thüringer Landbund), Wirtschaft- und Justizminister Wilhelm Kästner (Wirtschaftspartei), Staatsrat für Reuß Erich Port (Thüringer Landbund), Staatsrat für Rudolstadt Franz Fürth (Wirtschaftspartei), Staatsrat für Weimar Willy Marschler (NSDAP), Staatsrat für Meiningen Karl Kiem (DNVP), Staatsrat für Sondershausen Theodor Bauer (DVP).' RSA, Bd. 3, Teil 3, S. 61. an Fähigkeit und Willensstärke turmhoch überragt. Dazu kommt noch, daß hinter ihm die aktivste und entschlossenste Partei steht!
Unsere Aufgabe in Thüringen erstreckt sich damit auf zwei Gebiete. Als Innenminister wird Dr. Frick eine langsame Säuberung des Verwaltungs- und Beamtenkörpers von den roten Revolutionserscheinungen vornehmen. Dr. Frick wird hier mit rücksichtsloser Entschlossenheit eine Nationalisierung einleiten[21]Hinweis in der Edition von 1966, dass das Wort 'einleiten' eine handschriftliche Korrektur aus dem Wort 'vornehmen' war. Dickmann: Regierungsbildung, S. 463., die den anderen bürgerlichen Regierungen zeigen kann, was

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wir Nationalsozialisten unter diesem Worte verstehen. Vor allem auf dem Gebiete des Polizeiwesens gibt es sehr viel zu tun. Die zweite große Aufgabe wird Dr. Frick als Volksbildungsminister in der Nationalisierung des Schulwesens erblik|c|en. Wir werden in Thüringen nunmehr das gesamte Schulwesen in den Dienst der Erziehung des Deutschen zum fanatischen Nationalisten stellen. Wir werden ebenso sehr den Lehrkörper von den marxistisch-demokratischen Erscheinungen säubern, wie umgekehrt den Lehrplan unseren nationalsozialistischen Tendenzen und Gedanken anpassen.[22]Vgl. hierzu Neliba: Legalist, S. 57-68. Der erste Schritt wird die Errichtung eines Lehrstuhles für Rassenfragen und Rassenkunde an der Universität in Jena sein. Ich habe die bestimmte Hoffnung, daß es gelingen wird, Dr. Hans Günther zum ordentlichen Professor der Universität Jena zu gewinnen.[23]Das Vorhaben glückte. Hans Friedrich Karl Günther (geb. 16.02.1891), auch Rasse-Günther genannt, bekam in Jena eigens einen Lehrstuhl für Sozialanthropologie eingerichtet. In den 1920er Jahren verfasste er rassentheoretische Schriften, darunter 1922 die 'Rassenkunde des deutschen Volkes'. Damit wird Thüringen, von dem in der deutschen Geschichte schon einige Male große geistige Erneuerungen ausgegangen sind, abermals der Ausgangspunkt einer solchen geistigen Umwälzung werden.[24]'Anspielung auf die 1517 beginnende Reformation, die deutsche Klassik, die mit dem zeitweise in Weimar lebenden Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich von Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder dort ihren Schwerpunkt besaß, sowie die 1815 erfolgte Gründung der ersten deutschen Burschenschaft in Jena.' RSA, Band III, Teil 3, S. 62. Genau genommen bleibt unklar, worauf Hitler anspielt, weil er es im Brief nicht ausführt. Er produzierte damit keine Traditionslinie sondern eine historische Leerstelle, deren Interpretation ganz im betrachtenden Auge liegt. Eine weitere Aufgabe ist es, von Thüringen aus der verhängnisvollen Reichspolitik entgegenzutreten.[25]In einem Aufruf Hitlers an die Partei vom 23. Januar 1930, abgedruckt im Völkischen Beobachter vom 25. Januar heißt es: Wenn wir Nationalsozialisten deshalb heute, sei es in einer Kommune oder in einem Lande, an der öffentlichen Gewalt teilnehmen oder in eine Regierung eintreten, dann keine Sekunde etwa in dem Glauben, damit diese Gebiete dem allgemeinen Schicksal entziehen zu können, sondern nur in der Hoffnung, von diesen Stationen aus die Erkenntnis über die Notwendigkeit des Sieges unserer Idee leichter und weiter verbreiten zu mögen, und dem Siege unserer Bewegung, in dem wir die Voraussetzung für die Rettung unseres Volkes erblicken, damit besser dienen zu können. Dickmann, Regierungsbildung, S. 463. Der erste Erfolg in dieser Richtung ist die Ablehnung des Youngplanes durch den Thüringischen Staat im Reichsrat.[26]Anmerkung in der Edition von 1966: 'Die Abstimmung im Reichsrat war allerdings erst am 6. Februar.' Dickmann, Regierungsbildung, S. 463; Verweis auf 'Dokument. 14. Anm. 4' in RSA, Band III, Teil 3, S. 62. Aber was sich hier in einem Bundesstaat abspielt, wiederholt sich in zahlreichen Kommunen und bereitet sich in einigen anderen Ländern vor. Wir haben in 5 Jahren hunderttausend Mitglieder gewonnen. Im vergangen Jahr allein achtzigtausend dazu. Im Monat Dezember aber allein bereits zwanzigtausend.[27]Laut Dickmann waren die Zahlen hunderttausend, achtzigtausend und zwanzigtausend in seiner Vorlage handschriftlich unterstrichen. Handschriftlich hinzugefügt wurde das aber. Dickmann, Regierungsbildung, S. 463. Vermerkt ist in der Edition von 1995 nach Albrecht Tyrell, Führer befiehl... Selbstzeugnisse aus der 'Kampfzeit', Dokumentation und Analyse, Düsseldorf 1969, S. 352 die Schlussfolgerung, dass die Zahlen Hitlers etwa 10 bis 15 Prozent niedriger anzusetzen seien. RSA, Band III, Teil 3, S. 62.
Die Bewegung wird in ein bis einerhalb |sic!| Jahren die Zahl von vierhunderttausend Mitgliedern[28]In der edierten Version von 1966 mit Hinweis auf die Schreibweise Mitglieder. Dickmann: Regierungsbildung, S. 463. mindest |sic!| erreicht, wenn nicht überschritten haben. Die große Arbeit der ersten Jahre nach der Wiedererlangung meiner Freiheit beginnt jetzt ihre Früchte zu tragen. Es wird bei uns kommen wie in der ganzen Natur. Man muß pflügen und eggen, säen und immer wieder arbeiten bis endlich die Zeit kommt, in der die Ernte fast sichtbar in wenigen Wochen der Reife entgegengeht und endlich in Tagen als Frucht eingebracht[29]Handschriftlich geändert aus geerntet. Dickmann, Regierungsbildung, S. 463. werden kann. Es ist bei Bewegungen nicht anders. Wir haben einen gründlichen Unterbau geschaffen. Wir haben unser Volk durchpflügt wie keine andere Partei es tut. Wenn der Moltkesche Satz, daß das Glück auf die Dauer beim Tüchtigen[30]Helmuth Karl Bernhard von Moltke (1800-1891) schrieb 1871 in einem Aufsatz: Über den Ruf eines Feldherrn freilich entscheidet vor allem der Erfolg. Wieviel daran sein wirkliches Verdienst ist, ist außerordentlich schwer zu bestimmen. An der unwiderstehlichen Gewalt der Verhältnisse scheitert selbst der beste Mann, und von ihr wird ebensooft der mittelmäßige getragen. Aber Glück hat auf die Dauer doch zumeist wohl nur der Tüchtige. Zitiert nach: RSA, Band III, Teil 3., S. 62 f. ist, auch heute noch zutrifft, kann es nur bei

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uns sein. Alles was sich an großen Ereignissen in den letzten Monaten abspielte, hat deswegen auch unserer Bewegung gedient und genützt. Das Volksbegehren und der Volksentscheid waren der Anlass für eine Propagandawelle, wie sie ähnlich in Deutschland noch nie da war. Und darin liegt in erster Linie ihr Nutzen. Allein darüber hinaus wurde die Nation so aufgerüttelt, daß es den anderen Parteien heute schon sehr schwer wird, ihr neues Verbrechen an unserem Volke so leichten Herzens zu begehen, wie dies früher oft der Fall war. Daß sie uns deshalb nicht lieben, ist selbstverständlich. Ich glaube nicht, daß jemals eine politische Partei in Deutschland so infernalisch gehasst wurde als |sic!| wir. Allein ich glaube auch nicht, daß jemals an einer Bewegung Menschen in so verzehrender Hingabe hingen als ebenfalls an der unseren.
Was mein eigenes leben betrifft, so geht es auf in der großen Tätigkeit und dem ärgerlichen[31]Auf der Photokopie von 1966 ärgerlichem. Dickmann: Regierungsbildung, S.464. Kleinkram, der dazwischen nun einmal immer mitläuft. Es wäre auch sonst zu schön, wenn einem nicht kleinliche Stänkereien, Prozesse und sonstige Sorgen von Zeit zu Zeit immer wieder das Bewußtsein brächten, daß man nicht in einer Welt der eitlen Freude, sondern tausendfältiger Unzulänglichkeit lebt. Ich meine dabei natürlich nicht die Welt an sich, sondern nur das Zeug, das sich auf ihr herumtreibt!
So darf ich Ihnen, lieber Herr Eichhorn, und Ihrer so sehr verehrten Frau Gemahlin denn auch an dieser Stelle danken für die Art und Weise, in der Sie mir wenigstens einen Teil meiner Sorgen abnehmen und erleichterten[32]Vermerk über Handschriftliche Korrektur aus erleichtern auf der Photokopie von 1966. Dickmann, Regierungsbildung, S. 464. Ich weiß, wie sehr Sie an unserem Werke hängen, an unserem gemeinsamen Werk, und weiß, wie für Sie selbstverständlich der schönste Dank das wunderbare Werden dieses unseres Werkes ist. Ich bin früher in vielen Dingen ein Prophet gewesen und habe wenigstens im Großen meist recht behalten. Ich habe aber fast nie über die Zeit des Erfolges unserer Bewegung prophezeit. Heute kann ich das mit fast hellsehender Sicherheit. Lieber Herr Eichhorn, wenn mich das Schicksal gesund erhält und nicht ungeahnte Katastrophen kommen, wird das deutsche Volk längstens in[33]Auf der Photokopie von 1966 handschriftlich verbessert aus bis längstens. Dickmann, Regierungsbildung, S. 464. zweieinhalb bis drei Jahren den tiefsten Punkt seiner Erniedrigung verlassen haben. Ich glaube, daß in dieser Zeit der Sieg

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unserer Bewegung eintritt und damit die Periode unseres Verfalls beendet ist und eine solche des Wiederaufstiegs unseres Volkes beginnt. Vielleicht ist es Ihnen trotz allem möglich, noch vorher in unsere deutsche Heimat zu einem kurzen Besuch zurückzukehren, vielleicht aber betreten Sie diesen Boden schon in der Zeit, in der Sie das neue Banner begrüßen wird.
Ich habe das Nürnberger Abzeichen als Briefbeschwerer verarbeiten lassen und möchte Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin dies als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit schicken, in der Überzeugung, daß es sie immer an Tage zurückerinnern wird, die einst ein Fest waren, in der Zukunft aber Deutschland sein werden. Sie haben diese Tage selbst miterlebt und werden aus ihnen heraus besser verstehen als aus toten Nachrichten den lebendigen Siegeszug unserer Bewegung.

Seien Sie und die gnädige Frau Gemahlin nochmals[34]Aus nachmals geändert. Hinweis in der Versionen von 1966. Dickmann, Regierungsbildung, S. 464.
herzlichst bedankt und gegrüßt von Ihrem ergebenen

gez. Adolf Hitler

Auflösungen, Ausblicke und Fragezeichen

Empfänger des Briefes von Hitler vom 2. Februar 1930 waren Walter und Ida Eichhorn, die laut NSDAP-Mitglieds-Kartei in der argentinischen Kleinstadt La Falda lebten. Von Hitler bekamen sie am 11. Mai 1935 das Ehrenzeichen der NSDAP überreicht. Offenbar haben beide ihre Auszeichnungen später verloren, denn im November 1938 ließ die NSDAP-Parteizentrale in München ihnen jeweils zwei „Ersatz-Ehrenzeichen“ aushändigen.[35]Vgl. Aktennotiz Eisele, 20.11.1938, BArch, R 9361-II/200679. Mehr Informationen liefern die Akten aus dem Bundesarchiv nicht.

Unbekannt ist die Geschichte des Ehepaars Eichhorn aber keineswegs. Als Mitinhaber des Edén Hotels in La Falda machten sie sich seit 1912 in der Provinz Córdoba einen Namen. In einer sehenswerten Reportage hat Dokumentarfilmerin Cuini Amelio Ortiz die Geschichte des Hotels aufgearbeitet. Nebenbei zeigt Ortiz in ihrem Film auch den Brief Hitlers vom 2. Februar 1930. Zu sehen ist ein grau hinterlegtes Dokument mit handschriftlichen Änderungen in bräunlicher und einer Unterschrift von Hitler in schwarzer Farbe. Unklar ist, ob es sich dabei um das Original oder eine weitere Kopie handelte. Auch der Name Eichhorn ist zu lesen, was wiederum den Namen auf der hier veröffentlichten Abschrift bestätigt.

Ortiz geht auch auf die Rolle der Eichhorns ein, die während einer Deutschlandreise Mitte der 1920er Jahre auf Hitler trafen und ihn anschließend finanziell unterstützten. Übermäßig gefühlvolle Briefe Hitlers an die Eichorns waren offensichtlich keine Seltenheit. Für andere Dinge hatte er sich bereits vor dem 2. Februar 1930 regelmäßig bei ihnen bedankt. Ein wichtiges Detail wird im Film über Walter Eichhorn erwähnt. Der geborene Leipziger handelte in Argentinien mit Spitze, einer dekorativen Textilie überwiegend aus Garn, deren industrielles Zentrum in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg im thüringischen Plauen lag. Walter Eichhorn hatte also durchaus Interesse daran zu erfahren, wie sich die mitteldeutsche Industrie gegenüber den Rechtsextremen verhielt. Hitler teilte es ihm mit. Möglicherweise erklärt sich so auch die Bezeichnung Eichhorns als „Großindustriellen“, die von der Person gewählt wurde, die die Abschrift erstellte.

Ida Eichhorn, die, so berichtet Ortiz, bereits mit einem wesentlich älteren Mann verheiratet war, verließ ihre Heimat und ihre vierjährige Tochter, um in Übersee ihr Glück zu suchen. Auf der Schiffsreise 1912 lernte sie Walter kennen, die beiden heirateten und kauften zusammen mit Walters Bruder Bruno sowie dessen Frau das Edén Hotel in La Falda. Möglicherweise ist Ida Eichhorn, vor allem deren Herkunft, auch die Schlüsselverbindung für den Vorgang von 1943. Ida, eine geborene Bonfert, stammte aus Siebenbürgen (Rumänien). SS-Obergruppenführer Berger, ein Schwabe, hatte dienstliche und persönliche Verbindungen nach Rumänien. Als Chef des SS-Hauptamtes rekrutierte er dort sogenannte Volksdeutsche für die Waffen-SS. Außerdem war Bergers Tochter mit dem Führer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, Andreas Schmidt, verheiratet war. Schmidt hatte möglicherweise Kontakt zu Alfred Bonfert, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Volkspartei Rumäniens. Auch nach dem Unfalltod von Bergers Tochter 1942 riß die Verbindung zwischen beiden Männern nicht ab. Daher läßt sich vermuten, dass Berger die Fotokopie von Andreas Schmidt oder einer Person aus dessen näheren Umfeld zugespielt bekam. Mit Thüringen und dem Hotel Edén hatte der Vorgang 1943 daher weniger zu tun, vielleicht auch weniger mit Wilhelm Frick. Für Berger bot der Vorgang die Möglichkeit, sich bei Himmler in den Vordergrund zu spielen. Bekam der Reichsführer-SS dadurch die Gelegenheit, mit Hilfe der Deutschen Volksgruppe und über den Namen „Eichhorn“ Einfluss auf Hitlers Entscheidungen zu Rumänien auszuüben?

Das Verschwinden des Namens „Eichhorn“ in der Dokumentation von 1966 hatte über die persönliche Verbindung der Beteiligten hinaus vermutlich auch einen brisanten politischen Rahmen. Spätestens seit dem Aufgreifen Adolf Eichmanns in Argentinien Anfang der 1960er war die Flucht von NS-Tätern nach Südamerika über die sogenannte Rattenlinie ein offenes Geheimnis. Die Veröffentlichung des Namens mit einer Lokalisierung der Eichhorns in Argentinien hätte im Jahr 1966 nicht nur die Frage nach der Finanzierung der NSDAP vor 1933, sondern auch die Frage nach eventueller Fluchthilfe für Kriegsverbrecher nach 1945 aufgeworfen. War das politisch zu heikel? Leider konnte Fitz Dickmann bis zu seinem frühen Tod 1969 nicht noch einmal zu dieser Problematik veröffentlichen. Seine hervorragende Arbeit, was die Beschreibung der Quelle und seiner Eigenheiten angeht, wird durch das bewußte Verschweigen des Namens zwar deutlich geschmälert. Dennoch publizierte der Historiker ein einmaliges Dokument, dessen Erscheinung in so verschiedenen Gestalten – vom Original bis zur Fotokopie – nur in den Kontexten der jeweiligen Zeiten verständlich ist.

Den Erfolg NSDAP während der #Koalitionsverhandlungen in den Wintermonaten 1929/30 als Modell zur Eroberung der Macht zu verstehen, ist angebracht. Abseits dieser auf Hitler und die NSDAP konzentrierten Sichtweise, ist es im Jahr 2019 genauso angebracht, auf die Unfähigkeit der demokratischen Mitte hinzuweisen, ohne linke oder rechte Extremisten regierungsfähige Bündnisse zustande zu bringen. Hitler schrieb in seinem Brief an die Eichhorns: „Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.“ Das war schlichte Propaganda, denn auch ohne Mitwirkung der NSDAP hätten Mehrheitsverhältnisse gebildet werden können. Sozialdemokratische, bürgerlich-liberale und konservative Kräfte entschieden sich trotz einer Mehrheit von 41 zu 53 Mandaten gegen die #Demokratie und wurden, gewollt oder ungewollt, zu Mitschuldigen für den Untergang der #WeimarerRepublik

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